bedingter Tötungsvorsatz

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[Rn. 22] aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383; vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277, 279; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37, 38). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteile vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 30. April 2014 – 2 StR 383/13, StV 2015, 300, 301; vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 215; vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93).

[Rn. 23] Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204; vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, juris Rn. 14).

[Rn. 24] Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80; Beschluss vom 26. April 2016 – 2 StR 23/24 484/14, NStZ 2017, 22, 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1986 – 2 StR 311/86, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1; Beschluss vom 7. März 2006 – 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2014 – 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516, 517; Beschlüsse vom 10. Juli 2007 – 3 StR 233/07, NStZ- RR 2007, 307; vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35). Diese Prüfung muss stets auf den Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung (durch Tun oder Unterlassen) bezogen sein (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2023 – 5 StR 80/23, NStZ 2023, 729, 731; Beschluss vom 25. September 2019 – 4 StR 348/19, NStZ-RR 2020, 79).“

BGH, Urteil vom 20.02.2024 - 2 StR 468/22 (LG Kassel)

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